Tief hängen die Wolken, der Regen hat aufgehört, dennoch liegt ein Dunst über den Wiesen zwischen Bautzen und Grubschütz. Im Hintergrund des Gedenksteins hängt eine einst stattliche Birke vom Sturm verdreht und gebrochen. Auf der anderen Seite plätschert die Spree. Viele Menschen aus Bautzen und Umgebung haben sich heute an dem Gedenkstein eingefunden „zum Gedenken an die Menschen, die während des Nationalsozialismus zwischen 1940 und 1945 in der Waggon- und Maschinenfabrik Bautzen Zwangsarbeit leisten mussten“. Sie gedachten Menschen, die aus der Stadt und der Umgebung stammten und hier oder an anderen Orten lediglich aufgrund der Tatsache, dass sie nicht in das Bild der Nationalsozialisten passten, inhaftiert und gequält wurden, Zwangsarbeit leisten und schlussendlich in vielen Millionen Fällen ihr Leben lassen mussten.
Es waren Vertreter der Stadt und des Landkreises, vieler politischer Parteien, der Gedenkstätte Bautzen, des DGB, des VVN-BdA und viele Bürgerinnen und Bürger anwesend, die der Opfer des Nationalsozialismus gedachten. Das Jugendblasorchester Bautzen spielte zu Beginn und am Ende der Veranstaltung, während die Menschen ihre Blumen am Gedenkstein ablegten und inne hielten.
Der Finanzbürgermeister, Dr. Robert Böhmer, eröffnete die Veranstaltung – dazu im Folgenden noch mehr. Im Anschluss trugen Schülerinnen und Schüler des Melanchton-Gymnasiums ihre Ergebnisse einer Projektarbeit vor, in der sich intensiv mit dem Schicksal eine jüdischen Mannes beschäftigen, der u.a. in Bautzen II inhaftiert war. Sie plädierten dafür die Erinnerung wachzuhalten und dass alle Schülerinnen und Schüler Gedenkstätten besuchen sollten.
Für den Stadtrat hielt der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Steffen Grundmann, eine eindrückliche Rede und schlug einen Bogen von der Zeit des Nationalsozialismus bis in die Gegenwart:
„Und es werden in aller Öffentlichkeit wieder Dinge gesagt, die zu Protest & demokratischen Widerstand führen müssten – aber immer öfter bleiben sie unwidersprochen.“
Insgesamt wäre dies eine würdige Veranstaltung gewesen, um den Opfern des Nationalsozialismus und insbesondere der Shoah zu gedenken. Ich wähle hier bewusst den Konjunktiv, denn leider war sie es zeitweise nicht. Leider war die Rede, die der Finanzbürgermeister der Stadt, Dr. Robert Böhmer, hielt, aus meiner Sicht und der vieler anderer, die anwesend waren, dem Anlass nicht würdig. Und dies ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt! Es fielen Worte, die auch hier direkten Widerspruch gefordert hätten.
Ich möchte die Rede selbst gar nicht so sehr kommentieren, sondern vielmehr paraphrasieren bzw. zitieren.
Dr. Robert Böhmer gab an, dass er „ein paar Worte für die Stadt“ sage. Die Vernichtung habe nicht am Anfang einer Entwicklung gestanden. „Das Böse war selbst damals subtil“, es sei scheinbar zunächst unsichtbar gewesen oder man habe sich vielmehr mit der Zeit arrangiert. Zuerst sei die Meinungsfreiheit erodiert, langsam habe sich das System gleichgeschaltet. Nun ein längeres Zitat aus der Rede:
„Unsere Verantwortung ist auch eindeutig. Unterdrückung von unbequemer Wahrheit darf es nicht geben! Das ist das eine. ‚Nie wieder!‘ Das darf auch keine Moralmetapher sein. Denn wir erleben heute ja wieder einen Genozid. Und zwar an den Christen. Nicht allein, aber gezielt und vor allem mit unvorstellbarer, entsetzlicher Grausamkeit. An den Christen in Syrien, dem Irak, im Norden Nigerias, selbst in Ägypten, im Sudan, im Jemen oder in Pakistan. Aber wir schweigen weitgehend. Unsere Kirchen und Parteien bleiben dazu nahezu still. ‚Nie wieder!‘, mahnt uns, denn heute ist schließlich der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Zwei Dinge: Relativierung oder Verherrlichung dieses Schreckens über Provokation mit NS-Symbolik ist kein dummer Jungenstreich. Zweitens: Es ist völlig unzumutbar, dass bei uns in Deutschland wie im Dezember in Berlin Davidsterne und Israelfahnen brennen. Jüdische Bürger denken wieder darüber nach unser Land zu verlassen, weil sich ihre Kinder nicht sicher fühlen in Schule oder Verein. Mit Kippa können sich vielerorts in Duisburg, Berlin oder Mannheim jüdische Bürger nicht mehr unbeschwert auf die Straße getrauen. Gerade dann, wenn diese Bedrohung, in dieser Form doch ein neuartiges Phänomen ist, dürfen wir diese Bedrohung nicht dulden. Unsere Freiheit ist ein großes Gut! Wir sollten sie nicht aufs Spiel setzen. Wenn wir merken, dass wir sie verlieren, ist es zu spät.“
Nach der Veranstaltung ging ich mit zwei weiteren Personen zu Dr. Robert Böhmer. Ich dankte ihm, da er auch stellvertretend für die Stadt stand, zunächst für die Veranstaltung. Die ingesamt mit Ausnahme seiner eigenen Rede würdig und gelungen war. Allerdings war es mir vor allem ein Bedürfnis auch meinen Eindruck zu seiner Rede anzusprechen, dass er gerade – aus meiner Sicht – die Shoah relativiert habe und das Problem des Antisemitismus in Deutschland in dem derzeit auch grassierenden Antisemitismus nur bei Muslimen in den Großstädten im Westen und in Berlin suche, er aber nicht vor seine Haustüre schaue. Antisemitismus gab es in Deutschland schon immer. Darauf wollte er nicht reagieren und sagte lediglich (sinngemäß): „Ich habe den Holocaust nicht relativiert!“ Eine weitere Person fragte nach. Er entzog sich des Gespräches und wollte nicht mit uns reden.
Danach unterhielt ich mich noch mit einigen Menschen, die meinen Eindruck teilten. Einige sagten, dass sie am liebsten aus Protest während der Rede Böhmers gegangen wären. Aber wäre das nicht auch ein fatales Zeichen gewesen? Wir kamen heute, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und gehen, ehe wir gedenken konnten, weil aus unserer Sicht gerade das Geschehen zwischen 1933 und 1945 und insbesondere die Shoah relativiert wird. Wir blieben, wir gedachten und versuchten danach mit dem Redner ins Gespräch zu kommen. Dies gelang nicht. Es bleibt zu hoffen, dass das Gesagte auch andere Anwesende, die in der Rolle eines Stadtrates, Pressesprechers der Stadt etc. sind, ebenfalls zumindest irritiert hat und es ihnen gelingt vielleicht mit ihm ins Gespräch darüber kommen.
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Ich möchte mit diesem Beitrag in keinem Falle verneinen, dass es Christenverfolgung gibt und dies ebenfalls schlimm und schrecklich ist. Genauso ist der Antisemitismus, geäußert egal von wem, abzulehnen.
Da ist man in der Tat sprachlos. Auch als Christ distanziere ich mich hiermit von den Worten des Finanzbürgermeisters.
Die Kirchen sind zur Christenverfolgung übrigens keineswegs still. Da wird man schnell fündig bei den Bistümern oder seriösen christlichen Nachrichtenportalen. Bei unseriösen allemal.
Aber ist ja nichts Neues, dass sich der rechte Rand der Verteidigung des christlichen Abendlandes annimmt. Ist ja auch hier entstanden, das Christentum.
Bitte nur als Randnotiz verstehen, und Dank für den Artikel.