Gastbeitrag von Bruno Rössel
Warum auch Bautzen rot-rot-grüne Kooperation und eine Basisbewegung der Weltoffenen braucht. Die Analyse „Sachsen wird schwarzblau“ aus Perspektive von Bautzen.
Der Text „Sachsen wird schwarzblau“ von Johannes Lichdi wurde am 5. Juli 2018 veröffentlicht.
Von der Union zum rechten Rand
Die CDU in Bautzen
Was die jahrzehntelange CDU-Alleinherrschaft bewirkt, lässt sich eindrucksvoll in Stadt und Landkreis Bautzen besichtigen. Das Problem mit Rassismus und rechten Strukturen wird – trotz unzähliger Gewalttaten – verharmlost, ignoriert oder geleugnet. Kritischen Stimmen, die Geflüchtete unterstützen oder auf das Nazi-Problem aufmerksam machen, wird wiederum vorgeworfen, das Image des Landkreises beschädigen zu wollen, was an politischer Unkultur nicht zu überbieten ist. Behörden-Entscheidungen werden nicht kritisch hinterfragt, sichtbar zuletzt bei der Schließung der Geflüchtetenunterkunft Neukirch, als ein Polizist behauptete, das Landratsamt mache schon alles richtig, und den Beobachter*innen vorwarf, sie wöllten doch nur „stänkern“. Nicht zuletzt hat sich in den Verwaltungen ein CDU-Filz gebildet, gegen den nur schwer anzukommen ist. Auf die Begründung bestimmter Entscheidungen wird vollkommen verzichtet, so reagierte CDU-Landrat Harig auf die Kritik an seinem Treffen mit dem Neonazi Marco Wruck mit einem autoritären „Ich rede mit wem ich will“. Und die neoliberale Politik, die beispielsweise die Schließung von Jugendclubs beinhaltet, wird einfach hingenommen. Diese Liste mit Auswirkungen ließe sich fortführen. Die CDU Bautzen gehört zu den rechtesten Kreisverbänden in Sachsen. Die Strömung um Vize-Landrat Udo Witschas und den autoritär führenden Kreistags-Fraktionschef Matthias Grahl hat keine Berührungsängste zur AfD und zu Personen, die noch weiter rechts stehen. Nicht selten fallen sie dadurch auf, Geflüchtete gegen Einheimische auszuspielen. Die vertrauliche Kommunikation von Witschas mit dem damaligen Chef der Bautzener NPD war da nur folgerichtig. In einem internen Schreiben der CDU-Fraktion verteidigte Grahl schließlich den Vize-Landrat gegen Kritik und forderte zur Geschlossenheit auf. Die Union beweist also auch hier eindrucksvoll, dass sie Ursache und Teil des Problems ist. Eine Kooperation der CDU mit der AfD nach der Kommunalwahl 2019 ist ganz und gar nicht auszuschließen.
Die AfD in Bautzen
Die Bautzener AfD ist im Aufwind, die Mitgliederzahlen steigen seit langem, sie ist gesellschaftlich akzeptiert bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Der Wahlkreis Bautzen I ist einer der drei Wahlkreise, in denen die AfD das Direktmandat gewonnen hat. Mit 32,8% der Zweitstimmen ist sie deutlich stärkste Kraft geworden. Die Gründe dafür sind vielfältig: zum einen konnte die AfD in einstigen Hochburgen der LINKEN die Stimmen ökonomisch Benachteiligter gewinnen, mit dem Slogan „Die LINKE ist für offene Grenzen. Wir nicht.“
Außerdem profitierte sie vom rassistisch aufgeheizten Klima in der Region; Bautzen ist, was flüchtlingsfeindliche Proteste angeht, Spitze in Sachsen. Im Prinzip konnte die AfD ernten, was die CDU durch jahrelange Ignoranz und Leugnung dieses Problems gesät hatte. Und nicht zuletzt hat die AfD prominente finanzstarke Unterstützer*innen im Landkreis, vom Unternehmer bis zur Sängerin. Im Vorfeld der Wahl ist der jetzt direkt gewählte Abgeordnete Karsten Hilse persönlich durch die Dörfer gefahren, um mit den Menschen zu sprechen. Personelle Überschneidungen zwischen Partei und Identitärer Bewegung oder Abhandlungen über Umvolkung und Asylindustrie in den Schaufenstern der Bürger*innenbüros verdeutlichen, wo die AfD Bautzen inhaltlich steht.
Rechte Strukturen in Bautzen
Nazis fühlen sich schon lange wohl in Stadt und Region Bautzen, rufen „Nazi-Kieze“ aus. Nun wächst auch die Reichsbürgerszene, während gleichzeitig die „Neue Rechte“ Fuß fasst. Das kommt nicht von ungefähr, die Ursachen lassen sich – stark vereinfacht – in einem Dreiklang zusammenfassen: zum einen ist da die von Jahr zu Jahr gewachsene rassistische Grundstimmung in der Gesellschaft, die sich im Alltag wiederspiegelt, wenn Frauen aufgrund ihres Kopftuches angepöbelt werden, aber auch in Behörden, wenn Geflüchteten aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“, die mit den ihnen zugestandenen finanziellen Leistungen nicht über den Monat kommen, das Betteln empfohlen wird. Da ist die Mitte der Gesellschaft, die schweigt, wenn Menschen rassistisch beleidigt werden, die sogar noch schweigt, wenn Nazis Geflüchtete durch die Stadt jagen. Die Gründe dafür sind sicher je nach Person verschieden, einige schweigen aus Angst, andere aus Desinteresse, oder gar, weil sie den Täter*innen insgeheim zustimmen. Und da ist das Agieren von Kommunalpolitiker*innen und anderen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, die das Rassismus-Problem, das Nazi-Problem verharmlosen oder leugnen, die untätig zuschauen, oder – und das ist im negativen Sinne einzigartig für Stadt und Landkreis Bautzen – sich mit vorbestraften Neonazis zum Kaffeekränzchen treffen, und sie so in ihrem Handeln auch noch bestätigen. Dieser Dreiklang macht die Region so anziehend für Nazis jedweder Coleur, ermöglichte und ermöglicht die Verfestigung rechter Strukturen – dazu zählen Rocker-Gruppen wie Aryan Brotherhood Eastside (125er), die „Division Bautzen“, die „Nationale Front Bautzen“, „Balaclava Graphics“, 2016 noch unter dem Namen „Stream.BZ“ bekannt, die Identitäre Bewegung Oberlausitz, aber auch der SV Post Germania Bautzen und die örtliche Dynamo-Fangruppe. Die Reichweite dieser Strukturen ist groß, sie bekommen Unterstützung von der „Brigade Halle“, die im September 2016 auch in Bautzen ihr Unwesen trieb, und aus dem Ruhrgebiet. Zuletzt haben britische Identitäre ihre „Kamerad*innen“ in Bautzen bei einem Infostand unterstützt. Die Folgen sind auch in der Kriminalstatistik sichtbar: während die Zahl der Straftaten mit politisch rechtem Hintergrund in Gesamt-Sachsen rückläufig ist, steigt sie im Landkreis Bautzen, der bei rechter Gewalt einen traurigen Spitzenplatz einnimmt, weiter an.
Mitte-Links und die demokratische Zivilgesellschaft
Die Mitte-Links Parteien
Der Wahlsieg des damals noch parteilosen Alexander Ahrens bei der Bautzener Oberbürgermeisterwahl 2015 war eine freudige Überraschung – zeigte er doch, dass der politische Wechsel nach 25 Jahren CDU-Alleinherrschaft gelingen konnte, dass es selbst in einer von rechten Strukturen und Alltagsrassismus geprägten Stadt wie Bautzen möglich war, mit einem explizit progressiven Programm, mit der Aussage, man werde „keine Politik gegen Flüchtlinge machen“, die Menschen zu begeistern. Ermöglicht wurde dieser Wahlsieg durch eine Art Basisbewegung, dem „Bündnis für Bautzen“, bestehend aus SPD, LINKEN und dem Bürgerbündnis Bautzen, die im Stadtrat eine Koalition bildeten, und unterstützt von der Zivilgesellschaft. Regelmäßige Austauschtreffen bereiteten das Bündnis vor und hielten es am Leben. Die Freude blieb vielen aber schon im Halse stecken, als sich Ahrens nach den rassistischen Ausschreitungen 2016 mit den führenden Köpfen der Täter*innen an einen Tisch setzte – und viel Applaus von Vertreter*innen der Union erntete. Mehr Raum möchte ich ihm und seinen Äußerungen an dieser Stelle gar nicht geben. Und das Bürgerbündnis Bautzen hat die Basisbewegung verlassen, als es um die finanziellen Mittel für die damalige Geflüchtetenunterkunft „Spreehotel“ und andere Integrationsprojekte ging. Heute munkelt man, das Bürgerbündnis werde nach der nächsten Kommunalwahl die AfD-Fraktion bilden. Die Basisbewegung und die fortgesetzte Kooperation von SPD und LINKEN im Stadtrat zeigen jedoch, auch wenn die Kritik an Ahrens in der LINKEN immer lauter wird, das eine Zusammenarbeit im Mitte-Links-Lager gut funktionieren kann. Die Bautzener SPD macht es der LINKEN auch ziemlich einfach, ist der Ortsverein doch einer der rebellischen im Landesverband der Sozialdemokraten. Hier ist man noch an einer klar linken Alternative zur CDU-Politik interessiert. Wenige Monate nach dem Ausstieg des Bürgerbündnisses aus der Basisbewegung fanden – auf Initiative der SPD – Sondierungsgespräche mit den Grünen statt. Die Atmosphäre war entspannt, obwohl es um Bundesthemen ging, wie z.B. um Außenpolitik, denn man kennt sich, arbeitet in verschiedensten Bündnissen zusammen. Das trug zu guten Ergebnissen der Sondierungen bei. Die Grünen wirkten jedoch unentschlossen, was ihr Verhältnis zur CDU angeht, während die anwesenden Verteter*innen der SPD und der LINKEN Bündnisse mit der Union klar ablehnten. Auf Kreisebene gestaltet sich die Lage etwas anders. Die LINKE im Kreisverband ist R2G-Bündnissen deutlich skeptischer eingestellt, was daran liegen könnte, das Genoss*innen vor einigen Jahren im Streit die Partei verlassen haben und zu den Sozialdemokraten wechselten, auch ein Kreisrat ist darunter. Die SPD ist mehrheitlich auf Dulig-Linie und die Grünen auch hier unentschlossen. Im Kreistag haben SPD und Grüne eine gemeinsame Fraktion gebildet, die Kooperation mit der Linksfraktion funktioniert nur mäßig. Einen größer angelegten Austausch hat es zwischen den drei Parteien auf Kreisebene schon lange nicht mehr gegeben.
Die demokratische Zivilgesellschaft
Ja, Bautzen hat sein Image verdient. Eine engagierte Zivilgesellschaft, die sich Nazis entgegenstellt, für Demokratie eintritt und Geflüchtete unterstützt, gibt es dennoch, und das sollte man nie vergessen. Das sind Bürger*innenbündnisse wie Bautzen bleibt bunt, die vielen Helferkreise für Geflüchtete oder das Bautzener Sozialforum;
das sind Vereine wie Valtenbergwichtel e.V., Willkommen in Bautzen e.V. oder RAA Hoyerswerda; und natürlich engagierte Privatpersonen. Diese Initiativen vereinen von liberalen Christdemokraten, über Parteilose bis zu den LINKEN alle unter ihrem Dach. Und genau das macht die Arbeit in ihnen so schwierig. Ein gutes Beispiel ist Bautzen bleibt bunt: es gibt jene, die ein klar (links-)politisches Bündnis wollen, die der Verwaltungsebene des Landkreises kritisch gegenüber stehen und Einfluss nehmen wollen, die Demonstrationen gegen Nazis organisieren, und es gibt jene, die kein politisches Bündnis wollen, die Geflüchtete aus einer christlichen Motivation heraus unterstützen, aber sonst konservativ sind und niemals demonstrieren gehen würden. Will heißen, es gibt keinen Konsens darin, dass die CDU in Sachsen Teil des Problems ist. Man kann sich auch nicht darauf einigen, ob man OB Ahrens weiter unterstützt oder nicht. Dieses Bündnis ist nicht in der Lage, die Mitte-Links Parteien zu zwingen, sich zusammenzuraufen. Genauso wenig der trägerverBUNT, ein kreisweites, loses Bündnis von Jugendhilfeträgern, Demokratieprojekten und Vereinen der Flüchtlingshilfe, in dem aber auch Angehörige der Kreisverwaltung zu finden sind.
Ausblick: wie weiter?
„Notwendig wäre eine Basisbewegung, die die sozial, ökologisch, liberal (nicht im FDP-Sinne!), weltoffen und europafreundlich orientierten Bürgerinnen und Bürger mobilisiert. Wir müssen jetzt für die westlichen Werte der Aufklärung, für Freiheit, Gleichheit, Solidarität kämpfen“, schreibt Johannes Lichdi. Diese Idee geistert in Ansätzen schon eine Weile in meinem Kopf herum, nicht für die Landesebene, sondern für die Ebenen von Stadt und Kreis Bautzen – denn die Kommunalwahlen stehen an. Anscheinend haben aber weder die Mitte-Links Parteien, noch die Mehrheit der aktiven Zivilgesellschaft verstanden, was 2019 auf dem Spiel steht. Immerhin hat Landrat Harig angekündigt, zum Sparkassenverband nach Berlin wechseln zu wollen. Sollte sein Plan aufgehen, dann käme es zu vorgezogenen Landratswahlen. Und im Landkreis Bautzen ist es ziemlich sicher möglich, dass dann CDU-Kronprinz Witschas, der Rechtskonservative, der vertraulich mit einem Nazi kommunizierte, und ein AfD-Kandidat in die Stichwahl kommen, was fatal für die Demokratie im Landkreis wäre. Bis jetzt scheint sich so gut wie niemand Gedanken darüber zu machen, dabei ist es essentiell, sich auf dieses Szenario vorzubereiten. Es braucht eine kreisweit bekannte Person als R2G-Kandidat*in, unterstützt von allen Bündnissen und Vereinen, die verhindern wollen, dass ein Mann Landrat wird, der dafür sorgt, dass die Demokratie schweren Schaden nimmt, dass das ohnehin schlechte Niveau im Umgang mit Geflüchteten weiter absinkt.
Aber selbst wenn Landrat Harig im Amt bleibt: es braucht eine rot-rot-grüne Kooperation für die Kommunalwahlen, die von den aktiven, weltoffenen, solidarischen Demokrat*innen, vielleicht mittels einer neuen Plattform, notfalls erzwungen und vor allem getragen werden muss, denn richtig ist: „Angesichts der realen Bedrohungslage ist die Aufteilung der demokratischen Linken in Sachsen in drei oder vier Parteien dysfunktional, nutzlos und überholt, ja nur noch politische Folklore.“ Die Sondierungsgespräche zwischen LINKEN, SPD und Grünen in Bautzen müssen weitergehen, und schnellstmöglich auf die Kreisebene ausgedehnt werden. Auf Parteitaktik muss verzichtet werden, denn es geht jetzt darum, das Lager der Solidarität zu stärken, die Demokratie und die Menschlichkeit zu verteidigen.
Es bleibt nicht mehr viel Zeit.
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